Sonntag, 29. Juli 2012

Vernissage "Kleine Fluchten"

Es war ein heißer Tag, die Zeit (17.30 Uhr) war ungewöhnlich, es gab keinen Alkohol - trotzdem kamen etwa 50 Personen.




Mathilde Recksiek (Mitte), die Organisatorin der Galerie "glatt + verdreht", sprach die Begrüßungsworte.
Heidemarie Baumgarten (links) las einen von ihr und ihrem Mann (Hein Baumgarten) verfassten Text, den ich weiter unten veröffentliche.



Kleine Fluchten


Flüchten – Angreifen – Totstellen.

Das sind die drei instinktmäßig angelegten Verhaltensmuster aller Lebewesen.

Flüchten und Angreifen sind Aktivitäten von gegensätzlicher Qualität.

Flucht gilt als Rückzug, Angriff als vorwärts gerichtet. Diese Zweiheit meint keine

Wertung. Beides kann richtig sein im gegebenen Kontext, in der jeweiligen Situation.

Flucht ist besetzt mit der Vorstellung von Vertreibung, Vertriebensein,

Fremdbestimmung.

Flucht ist ein singularer, abstrakter Begriff. In den Plural gesetzt, wird sie konkret in

den Fügungen „Häuserflucht, Zimmerflucht.“ Fluchten sind damit etwas Serielles,

das sich schließlich in einem Fluchtpunkt vereinigt wie Parallelen, die sich im

Unendlichen schneiden.

Wenn wir den Titel „Kleine Fluchten“ hören, assoziiert sich manchem wohl eine

Mischung aus den beiden Aspekten des Konkreten und des Abstrakten.

Beim Kompositum „Ausflucht“ finden wir als Plural „Ausflüchte“, denken vielleicht

sogar an die lautverwandten „Ausflüge“. „Ausflug“ hat etwas Leichteres als

„Ausgang“, etwas Probierendes.

Ausflüchten haftet etwas Negatives, aber auch Spitzbübisches an, man schmeckt die

jiddische „Chuzpe“, was unverschämte Frechheit bedeutet.

Auch die Zuflucht sollten wir noch bedenken – als Schutz vor Bedrohung, als

Rückzug.

Flucht wird ergriffen, Ausflüchte werden gemacht, Zuflucht wird gesucht und/oder

gefunden.

Die „ZEIT“-Publizistin Marion Gräfin Dönhoff erinnert sich an Schloß Friedrichstein

in Ostpreußen, in dem sie aufwuchs:

„Wenn man die schwere Haustür öffnete, sah man in eine große Halle...

Die mittlere Tür führte in einen hellen, stuckdekorierten Gartensaal. Wenn hoher

Besuch kam, wurden alle Türen geöffnet: die schwere Hallentür, dann die zum Saal

und schließlich die hohe Flügeltür, die auf einen säulengefaßten Balkon führte, der

den Blick auf einen großen, von Hecken umsäumten Rasenplatz freigab. Am Ende

des Rasens begannen zwei parallel verlaufende Alleen, die bis in die grüne

Unendlichkeit der Pregel-Wiesen reichten.“

Die Zimmerfluchten des Schlosses konnten die Menschen dort wirklich

durchwandern.

Hermann Hesse weist in seinem Gedicht „Stufen“ darauf hin, daß es auch innere

Fluchten gibt, Fluchten, die das Leben baut:

„Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten“ und „Nur wer bereit zu Aufbruch

ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen“.

So ist Erneuerung und Erweiterung zu erwarten, wenn „Des Lebens Ruf an uns“ zu

hören ist.

E. M. - G. hat es gewagt, diesem Ruf zu folgen. Sie hat mit den Mitteln, die einer

Malerin zur Verfügung stehen, kleine Fluchten gefunden. Wie diese aussehen, können

wir hier anschauen.

(Heide + Hein Baumgarten)

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