Mathilde Recksiek (Mitte), die Organisatorin der Galerie "glatt + verdreht", sprach die Begrüßungsworte.
Heidemarie Baumgarten (links) las einen von ihr und ihrem Mann (Hein Baumgarten) verfassten Text, den ich weiter unten veröffentliche.
Kleine Fluchten
Flüchten – Angreifen – Totstellen.
Das sind die drei instinktmäßig angelegten Verhaltensmuster aller Lebewesen.
Flüchten und Angreifen sind Aktivitäten von gegensätzlicher Qualität.
Flucht gilt als Rückzug, Angriff als vorwärts gerichtet. Diese Zweiheit meint keine
Wertung. Beides kann richtig sein im gegebenen Kontext, in der jeweiligen Situation.
Flucht ist besetzt mit der Vorstellung von Vertreibung, Vertriebensein,
Fremdbestimmung.
Flucht ist ein singularer, abstrakter Begriff. In den Plural gesetzt, wird sie konkret in
den Fügungen „Häuserflucht, Zimmerflucht.“ Fluchten sind damit etwas Serielles,
das sich schließlich in einem Fluchtpunkt vereinigt wie Parallelen, die sich im
Unendlichen schneiden.
Wenn wir den Titel „Kleine Fluchten“ hören, assoziiert sich manchem wohl eine
Mischung aus den beiden Aspekten des Konkreten und des Abstrakten.
Beim Kompositum „Ausflucht“ finden wir als Plural „Ausflüchte“, denken vielleicht
sogar an die lautverwandten „Ausflüge“. „Ausflug“ hat etwas Leichteres als
„Ausgang“, etwas Probierendes.
Ausflüchten haftet etwas Negatives, aber auch Spitzbübisches an, man schmeckt die
jiddische „Chuzpe“, was unverschämte Frechheit bedeutet.
Auch die Zuflucht sollten wir noch bedenken – als Schutz vor Bedrohung, als
Rückzug.
Flucht wird ergriffen, Ausflüchte werden gemacht, Zuflucht wird gesucht und/oder
gefunden.
Die „ZEIT“-Publizistin Marion Gräfin Dönhoff erinnert sich an Schloß Friedrichstein
in Ostpreußen, in dem sie aufwuchs:
„Wenn man die schwere Haustür öffnete, sah man in eine große Halle...
Die mittlere Tür führte in einen hellen, stuckdekorierten Gartensaal. Wenn hoher
Besuch kam, wurden alle Türen geöffnet: die schwere Hallentür, dann die zum Saal
und schließlich die hohe Flügeltür, die auf einen säulengefaßten Balkon führte, der
den Blick auf einen großen, von Hecken umsäumten Rasenplatz freigab. Am Ende
des Rasens begannen zwei parallel verlaufende Alleen, die bis in die grüne
Unendlichkeit der Pregel-Wiesen reichten.“
Die Zimmerfluchten des Schlosses konnten die Menschen dort wirklich
durchwandern.
Hermann Hesse weist in seinem Gedicht „Stufen“ darauf hin, daß es auch innere
Fluchten gibt, Fluchten, die das Leben baut:
„Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten“ und „Nur wer bereit zu Aufbruch
ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen“.
So ist Erneuerung und Erweiterung zu erwarten, wenn „Des Lebens Ruf an uns“ zu
hören ist.
E. M. - G. hat es gewagt, diesem Ruf zu folgen. Sie hat mit den Mitteln, die einer
Malerin zur Verfügung stehen, kleine Fluchten gefunden. Wie diese aussehen, können
wir hier anschauen.
(Heide + Hein Baumgarten)
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